In der Managementtheorie und Organisationsentwicklung heißt es: „Structures follows Strategy“. Dies ist aber sehr anspruchsvoll in Zeiten sich immer schneller verändernder Rahmenbedingungen. Viele Unternehmen starten deswegen Projekte zur Re-Organisation und Change Management. Dabei wird aber in der Regel versucht, von einem stabilen Zustand in einen nächsten stabilen Zustand zu springen.
Über die Jahrzehnte haben sich durch veränderte Rahmenbedingungen, wie technologische Entwicklungen, Kundenanforderungen und gesellschaftlicher Zeitgeist auch Organisationsprinzipien und Arbeitskulturen verändert. Tendenziell fand die grobe Entwicklung der Organisationen von der klassischen funktionalen Organisation, über die prozessbezogene TQM zur Matrix-Organisation statt und verändern sich heute aufgrund der Technologie und schnelleren Kundenanforderungen zunehmend hin zur Netzwerk- und agil geprägten Organisationsform.
Agile Prozesse sind iterativ und inkrementell. Sie fokussieren auf kurzfristige Ergebnisse und ermöglichen eine schnelle Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen
Auf das Business-Modell und die Zielstellung kommt es an
Es ist noch nie gut gewesen, dass man „me-too“ Ansätze fährt und vieles von anderen einfach übernimmt und eindimensional diskutiert. Viele Wege führen nach Rom, heißt es. Dies gilt auch für das Thema agile Organisationen und Arbeitskulturen. Derzeit wird das Thema agile Organisation wenig im Kontext unterschiedlicher Strategien, Kundenbedürfnisse und Business Modelle diskutiert. Sie stehen aber stark in der Interdependenz mit der jeweiligen Organisationsform und Arbeitskultur.
Für Unternehmen, die sich als Volumenproduzent verstehen und den Output, die Qualität und Effizienz sichern müssen, wird eine rein agile Organisationsform nicht wirklich hilfreich sein. Für Unternehmen, die aber Innovationen und neue Produkte treiben müssen, bzw. für viele unterschiedliche Probleme unterschiedliche Erfahrungen und Persönlichkeiten benötigen, wären agile Organisationsformen hilfreich. Es kommt auf die Zielstellungen und Umweltanforderungen an. Vermutlich macht es Sinn, die Diskussion stärker auf unterschiedliche Organisationseinheiten zu beschränken und nicht im Kontext des gesamten Unternehmens zu diskutieren.
Richtig ist aber, dass sich durch die Kommunikation und Digitalisierung etwas gesellschaftspolitisch verändert hat und sich dadurch auch die Ansprüche an die Zusammenarbeit und Arbeit generell verändern. Darauf muss jedes Unternehmen reagieren und den Grad der Veränderungsanforderung und -mix für sich definieren.
Strategie, Organisationsform und Arbeitskultur sind symbiotische Elemente eines Ganzen
Generell lassen sich vier unterschiedliche Arbeitskulturen als Prototypen beschreiben. Die klassische funktionale Arbeitskultur (geölte Maschine), die prozess-orientierte Arbeitskultur (stabile Qualität), die netzwerk-orientierte Arbeitskultur (flexible Lösungen) und die zeitbezogene Experten-Kultur (schnelle Innovation). Sie existieren im Spannungsfeld von Zuverlässigkeit und Flexibilität sowie Kunde und Technologie. In einem Unternehmen können diese Prototypen nebeneinander oder in gemischter Form auftreten, je nachdem, wie die Kundenbedürfnisse, Märkte und Zielstellungen befriedigt werden müssen. Allerdings stehen diese Arbeitskulturen auch stark in Wechselwirkung mit der jeweiligen Organisationsform, Managementsystemen, Führungsprinzipien, Verhaltensnormen und Anreizsystemen und werden dadurch geprägt.
Viele Unternehmen wollen die Innovationskraft stärken, um in einem dynamischen Umfeld (neue Kundenbedürfnisse, Technologien etc.) künftig erfolgreich bestehen zu können. Häufig genug wird für das Innovationsmanagement eine neue Rolle oder eine neue Organisationseinheit geschaffen. Aber:
- Wie wird das Innovationsmanagement im Unternehmen verankert?
- Kann eine Person oder Einheit überhaupt den Innovationsprozess verantworten?
Das Thema Innovationen muss hinsichtlich Rahmen der Zusammenarbeit, Führung, Managementsysteme und Organisationsform viel weiter gedacht und im Kontext der notwendigen und gewünschten Arbeitskultur und Veränderungsbedarfe diskutiert werden. Die Experten- und Netzwerk-Kulturen, mit Fokus auf Flexibilität, Eigenverantwortlichkeit und Freiräume, stehen für hier vielfältige Innovationskraft.
Eine Veränderung und nachhaltige Wirksamkeit gelingt aber nur, wenn das Management ein einheitliches Verständnis über die gewünschten Elemente und Stoßrichtungen hat und diese Elemente gemeinsam erarbeitet, umsetzt und nachhaltig lebt.
Agilität nicht als Dogma verstehen
Die agile Organisation sollte nicht zu dogmatisch diskutiert und als das allheilige Zukunftsmodell gesehen werden. Es werden weiterhin Organisationsformen benötigt, die eine hohe Stabilität und Zuverlässigkeit gewährleisten, wie z.B. in der Produktion, Call-Centern, Finanzbuchhaltung. Agile Organisationsformen der Selbstführung und der Selbstorganisation machen aber absolut Sinn, wo der Fokus auf der Eigenverantwortlichkeit und Innovationskraft liegt; es auf Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Teamwork ankommt, wie z.B. in Bereichen von IT, R&D, Business Intelligence.
Doch erfordern agile Organisationen bei den Mitarbeitern eine ausgeprägte „Haltung“. Sie benötigen vermutlich noch mehr Klarheit über Normen der Zusammenarbeit und Rollen als vielleicht andere Organisationsformen. Eine ausgeprägte Offenheit und ein hohes Vertrauen in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten und in die des Teams sind notwendig. Der gemeinsame Wille zur Erreichung von Ergebnissen, der Dialog, das Feedback und die Retro-Perspektive sind wichtig und müssen unbedingt gestärkt werden.
Eine solche Herangehensweise schafft für bestimmte Typen von Mitarbeitern neue und attraktive Perspektiven, sie kommen in ihre Lern- und Entwicklungszone. Bei anderen Mitarbeitern werden eher Irritation und Verunsicherung ausgelöst, sie verlassen ihre persönliche Komfortzone und können in Stress geraten! Das bedeutet, dass bei der Implementierung dieser Organisationsformen auch die Auswahl und Entwicklung von Mitarbeitern und Führungskräften besonders wichtig sind sowie die Werte, Normen und Prinzipien der Zusammenarbeit klar definiert und kommuniziert werden müssen.
Damit agile Organisationen auch die Erwartungen an den gewünschten Output erfüllen, ist die Haltung der Mitarbeiter und der Führungskräfte besonders wichtig! Denn sollte bei den Mitarbeitern der Wunsch zur Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung stark ausgeprägt und der Umsetzungsgedanke und die entsprechende Fokussierung schwächer sein, dann kann hier das Ziel schnell aus dem Auge verloren werden. Diese Organisationsformen ziehen gerne diese Menschentypen an!
Führung ist und bleibt wichtig
Unternehmen sollten darauf achten, dass Führung in agilen Organisationen nicht verteufelt wird, wie einige missverstehen. Führung und die Entscheidungsfindung sind auch in diesen Organisationsformen wichtig und nicht widersprüchlich. Hierarchien wird es weiter für die Mobilisierung und Eskalation geben müssen. Doch bekommen die visionäre und partizipative Führung sowie das Coaching jetzt deutlich mehr Gewicht. Die Führungskraft muss sich in den Dienst der Teams stellen, um zusammen schneller Nutzen für den Kunden zu schaffen. Eine Dienstleistungs-orientierte und Mitarbeiter-zentrierte Führung ist notwendig. Führungskräfte mit einem ich-orientierten Machtmotiv (größtes Auto, größtes Büro, Titel) haben hier nichts verloren. Vermutlich haben Sie in keiner Organisation was verloren. Sei es drum, die
Führungskraft soll die Mobilisierung und den Reifegrad der Mitarbeiter erhöhen, um den Teams weitere Verantwortung übertragen zu können. Damit können wiederum Kundenbedürfnisse noch besser bedient werden. Anforderungen an die Führungskräfte und agilen Rollen steigen. Die Fähigkeiten und Haltung von Führungskräften für die agile Orientierung als Vorbild sind sehr wichtig.
Organisationsentwicklung der flexiblen Schritte
Nicht der große Wurf zählt, sondern das schnelle, kurzfristige Ausprobieren in der Praxis und das Sammeln von Erfahrung in kleinen, iterativen Schritten. Keine langen Planungszyklen, sondern die Flexibilität der kurzfristigen Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen wird wichtig. Das „80:20-Prinzip“ sollte also auch in der Organisationsentwicklung zum Einsatz kommen. Nicht alle Situationen und deren Wirkungen sind vorhersehbar, gewollte Perfektion bis ins letzte Detail ist gerade heute fehl am Platz.
Folgende Vorgehensweise scheint geeignet:
- Ein gemeinsames Bild im Top Management von den Zielen und dem zukünftigen Operating Model erarbeiten, die zu einer Organisationsveränderung führen können.
- Insbesondere müssen die Strategie und die Ziele klar sein. Was wollen wir konkret erreichen? Was soll nach einer Veränderung anders, besser sein als heute?
- Welche Arbeitskultur wollen wir zukünftig haben und welche Elemente sollen wie gewichtet werden?
- Welche Rollen und welche Verhaltenskompetenzen brauchen wir?
- Auf dieser Grundlage messbare (Zwischen-) Resultate, Normen und Rahmen definieren:
- Was nehmen wir bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vor?
- Woran machen wir das fest?
- Wie sollen die Führung, Steuerung und Eskalation erfolgen?
- Wie vergüten und entwickeln wir?
- Hierfür passende Maßnahmen und Initiativen vereinbaren und umsetzen: Organisationsveränderungen in kleinen Schritten mit sofortiger Verprobung in der Realität
- Auswahl und Besetzung der kritischen Rollen und Führung mit den geeigneten Persönlichkeiten
- In laufender Retrospektive die Wirkungen transparent machen und gemeinsam bewerten, gegebenenfalls den Kurs korrigieren
- Regelmäßige Anpassungen im System sind notwendig und müssen von allen akzeptiert sein
Fazit:
Es muss nicht immer das große Organisationsprojekt sein, sondern es kann auch in kleineren Schritte umgesetzt werden. Wir müssen nur sicherstellen, dass die schnelle Anpassungsfähigkeit und die Zielsetzungen mit dem strategischen Kontext übereinstimmen. Damit das gelingen kann, ist die absolute Klarheit über Normen, Rollen und Erwartungen in der Zusammenarbeit, eine entsprechende Haltung der Beteiligten, eine Kultur der Organisationsveränderung notwendig, damit Veränderungen eben nicht wie in vielen Fällen als Ausnahmesituation erlebt wird, die bei den Beteiligten zum Teil erhebliche Irritation oder gar Angst auslöst. Zum Erfolgsfaktor gehört also das Loslassen und zwar vorhandene Strukturen und Regeln, Verantwortung und starre Prozesse. Fehler aus denen man lernt, sind gewünscht und toleriert!